Auswahlkriterien zur Person

Die Biografien, die vom Aktiven Museum Südwestfalen im ersten Abschnitt zu diesem Projekt geliefert werden, haben vor allem zwei Gemeinsamkeiten: Es handelt sich um Biografien junger jüdischer Menschen, die alle einmal während ihres Lebens die Synagoge in Siegen betreten haben. Ihre Lebensläufe sind nicht spektakulär. Sie waren und wurden später in ihrem Leben nicht bekannt oder berühmt. Es sind also Geschichten der Menschen von nebenan, deren Religion jüdisch war (ist).

Bei der Auswahl der Biografien wurden zumeist Jugendliche ausgesucht, die den Nationalsozialismus überlebten. Leitgedanke ist hierbei, dass diese Biografien im Internet vor allem von jüngeren Menschen – vielfach noch Schülerinnen und Schüler – gelesen werden. Sie stehen altersmäßig den beschriebenen Kindern und Jugendlichen nahe. Ihnen soll damit zweierlei vermittelt werden:

Einmal belegen einige Biografien, dass es schon im jugendlichen Alter lebensrettend sein konnte, eigene Entscheidungen zu treffen. Dadurch erfahren sie, dass die auch heute in unserer Demokratie verbreitete Meinung „Wir können daran sowieso nichts ändern!“ falsch ist. Zum anderen erkennen sie anhand einiger Biografien, dass es selbst in einer Diktatur einen Handlungs- und Ermessensspielraum gab. Für die vom Regime verfolgten Menschen war dieser sicher gering. Die Mehrheit der Bevölkerung aber hatte auch in der Diktatur damals ein breiteres Spektrum an Verhaltensmöglichkeiten, wie heute viele Geschichten belegen. Dies soll die Jugendlichen ermutigen, ihre Zukunft aktiv und kreativ zu gestalten!

Die Biografie des Heinz Lennhoff ist die Geschichte eines jüdischen Jungen, der als Einzelkind in einem kleinen Industrieort im Sauerland aufwächst. Die dort ansässigen jüdischen Bewohner haben sich über Generationen hinweg emporgearbeitet, gehören nun dem Mittelstand an. Sie sind geachtet und haben es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Dies ändert sich schlagartig mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Der jüdischen Minderheit wird erbarmungslos klargemacht, dass es eine Fehleinschätzung war zu glauben, sie wären akzeptiert und gleichberechtigt.
In dieser Zeit wächst Heinz auf. Er besucht das Gymnasium, muss aber die Schule verlassen, weil er Jude ist. Sein Wunsch, einmal Medizin zu studieren, bleibt unerfüllt. Seine Eltern müssen ihr Geschäft verkaufen, Mieter werden in ihrer Wohnung einquartiert. Sie versuchen durch den Wegzug von Plettenberg, ihre Lage zu verbessern. Sie ziehen zu Verwandten nach Netphen ins Siegerland. Heinz lernt ein jüdisches Mädchen kennen, das sich in einer ähnlichen Lage wie er befindet. Vielleicht ist es diese Gemeinsamkeit, die beide zusammenkommen lässt. Heinz klammert sich sehr an Inge. Zeitzeugen erinnern sich, dass die Liebe einseitig gewesen ist. Nach der Deportation seiner „Verlobten“ bleibt Heinz voller Hoffnung auf ein Wiedersehen, er verschließt die Augen vor der Wirklichkeit. Vielleicht konnte er sich nur damals nicht vorstellen, was auch für uns heute immer noch unbegreiflich ist.