Auswahlkriterien zur Person

Im Fall von Edgar Gielsdorf fällt es schwer zu entscheiden, ob der 1925 Geborene eher als Opfer seiner Zeit oder als Täter anzusehen ist. In jedem Fall ist er ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein in nationalsozialistisch geprägtem Elternhaus heranwachsendes und von einem antisemitisch eingestellten Volksschulelehrer geprägtes Kind die Karriere eines Führers in der HJ einschlägt, die schließlich darin mündet, dass er zum jüngsten HJ-Bannführer im „Großdeutschen Reich“ aufsteigt.

Zumindest ebenso eindrucksvoll ist aber der Umgang Edgar Gielsdorfs mit seiner NS-Vergangenheit. Zunächst von der britischen Besatzungsmacht interniert, beginnt, angeregt durch einfühlsame Offiziere, im Lager ein Prozess der Einsicht und Läuterung. Dann allerdings macht Gielsdorf das, was im Nachkriegsdeutschland fast alle tun: verdrängen, wieder aufbauen und sich im bürgerlichen Leben etablieren. Auch dies hält er konsequent durch, wird ein erfolgreicher Geschäftsmann und gut situierter Familienvater. Erst nach Eintritt in den Ruhestand beginnt – nicht zuletzt angeregt durch die gleichzeitig auftretenden rechtsradikalen Übergriffe in mehreren deutschen Städten mit Haus- und Synagogenbränden – eine zweite intensive Phase der Auseinandersetzung mit den eigenen Verstrickungen während der NS-Zeit.

1993/94 entsteht sein Buch „Vom Christkind eine Landsknechttrommel“, das Edgar Gielsdorf auf eigene Kosten drucken und an Kölner Schulen verteilen lässt. Außerdem stellt er sich als Zeitzeuge zur Verfügung, der auf Wunsch Schulklassen besucht oder in anderem Rahmen über die NS-Zeit und die Gefahren von Propaganda und Verführung referiert und diskutiert.

Neben zahlreichen interessanten Erlebnissen und Einzelheiten ist es insbesondere dieses Spannungsverhältnis zwischen Opfer und Tätersein, zwischen Verdrängung und aktiver Auseinandersetzung, die Edgar Gielsdorfs Lebensgeschichte nicht nur berichtenswert macht, sondern ihr auch etwas exemplarisches gibt. Das gilt für die NS-Zeit im engeren Sinne, aber auch für die Themenbereiche Verführbarkeit und Propaganda sowie für die Geschichte der Bundesrepublik.