„Ich konnte das als Kind gar nicht begreifen.“

Von Ostpreußen in die Kaschubei und zurück, über Thüringen in die Uckermark, über Hessen ins Rheinland: eine Zwölfjährige erfährt Gewalt und Diebstahl, aber auch Gutes durch Russen und Polen, später Ablehnung auch vielerorts von Deutschen, wo sie auch hinkommt, und findet doch eine neue Heimat.

Reintraut Grunwald, geboren am 15. April 1933), wächst mit acht weiteren Geschwistern auf einem großen Bauernhof im ostpreußischen Ermland sorgenfrei und behütet auf, vom Krieg sagt man ihr nichts. Umso traumatischer wirkt die völlig unvorbereitete, überstürzte Flucht im Februar 1945. Es geht über das brüchige Eis des Frischen Haffs, dann nach etwa zwei Wochen auf der Nehrung auf dem Landweg gen Westen, getrieben von der Angst vor „den Russen“, die sie noch vor Stolp aufhalten und zurück schicken. Der heimische Hof ist ausgeplündert, die Ställe niedergebrannt, das Vieh tot, sodass das Überleben 1946 immer härter wird; die kleinste, zweijährige Schwester und die Großeltern verhungern.
Im Juni 1947 werden die Grunwalds nach Thüringen vertrieben, ziehen im August weiter nach Angermünde, wo sie, wieder mit dem aus Gefangenschaft freigelassenen Vater vereint, anderthalb Zimmer bewohnen. Nach einem Jahr Schulbesuch arbeitet Reintraut u.a. in der Landwirtschaft und als Haushaltshilfe. 1952/1953 folgt sie ihrem zukünftigen Mann nach Westdeutschland. Nach mehreren Monaten in Hessen nimmt er in Mönchengladbach Arbeit bei der Britischen Militärregierung, sie eine Stelle bei einer Fabrikantenfamilie an. Als sie 1969 ins eigene Haus nach Korschenbroich umziehen, trifft Reintraut Spitzer wie auf allen Stationen ihres Weges bei den Alteingesessenen auf Misstrauen und Ablehnung gegenüber Fremden, was sich aber mit den Jahren auflöst. Heute (2011) lebt sie gern in Korschenbroich, ohne das Land ihrer glücklichen Kindheit vergessen zu können und zu wollen.