Auswahlkriterien zur Person

Es fällt schwer, für die Gruppe der „Halbjuden“ eine Einzelbiografie als beispielhaft vorzustellen. Denn die Kinder aus christlich-jüdischen Familien, die nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen als dritte Gruppe zwischen „Ariern“ und „Juden“ definiert wurden, unterschieden sich stark hinsichtlich ihrer Identitäten, Erfahrungen und Handlungsspielräume im NS-Staat. Oder in den Worten Hannelore Hausmanns ausgedrückt: „Das war mein Problem, dass ich mich zu keinem zugehörig fühlen durfte.“ Trotzdem ist Hannelore Hausmanns Biografie in mancherlei Hinsicht als exemplarisch anzusehen:

Zunächst zeigt sich an ihrem Beispiel, wie stark der Druck auf die christlich-jüdischen Familien bereits in den ersten Jahren des NS-Staats war. Etwa 20 Prozent der „Mischehen“ hielten staatlichem Trennungsdruck, antisemitischen Anfeindungen und sozialem Abstieg – bedingt durch die ökonomische Existenzvernichtung – bereits in den ersten Jahren der NS-Herrschaft nicht stand.

Gerade für die jüdischen Ehemänner bedeutete die Scheidung den Verlust des Schutzes, unter dem sie in den so genannten „privilegierten Mischehen“ gestanden hatten. Wie Herr Hausmann wurden sie zur Zwangsarbeit verpflichtet, deportiert und ermordet. Dieses Schicksal teilten auch jene etwa 10 Prozent der Kinder aus „Mischehen“, die wie Walter Hausmann wegen ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit als „Geltungsjuden“ allen Bestimmungen der „Volljuden“ unterstanden, wenn sie nicht emigrierten oder in den Untergrund gingen.

Typisch ist ferner, dass Hannelore die NS-Zwangsidentifizierung als „Halbjüdin“ zunächst gar nicht begriff, da sie dem eigenen Selbstverständnis widersprach. Wie sie reagierten viele „Mischlingskinder“ verängstigt auf die zunehmende Ausgrenzung und versuchten, ihre Lage durch unauffälliges Verhalten und eine ausgeprägte Anpassungs- und Leistungsbereitschaft zu verbessern. Insgesamt wiesen jedoch die Verhaltensweisen der „Mischlinge“ im Verhältnis zu jüdischen Verwandten und der Mehrheitsbevölkerung ein breites Spektrum auf.

Doch spätestens mit der Deportation der jüdischen Familienangehörigen und dem zunehmenden Verfolgungsdruck ab 1942 waren sich alle „Halbjuden“ der Gefahr bewusst, selbst ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Nur wer – wie Hannelore – die Unterstützung und Hilfe christlicher Verwandter und anderer Helfer/innen fand, konnte untertauchen und sich so der drohenden Verhaftung und Ermordung entziehen.

Schließlich stellt auch das jahrzehntelange Schweigen Hannelore Hausmanns nach 1945 keinen Einzelfall dar, sondern die bedrückende Regel. Einerseits wurde das Stillschweigen von der Mehrheitsgesellschaft im Nachkriegsdeutschland faktisch eingefordert, um nicht mit dem eigenen Fehlverhalten konfrontiert zu werden. Andererseits beruhte das Schweigen auch auf dem Wunsch der Verfolgten, die Vergangenheit zu vergessen, um ein neues Leben aufbauen zu können. Bei vielen fußte dieses Schweigen auf besonders heftigen Schuldgefühlen, anders als die jüdischen Verwandten überlebt zu haben. Isolierung, Individualisierung und Traumatisierung wirkten noch Jahrzehnte nach Kriegsende fort. Erst seit den 1980er Jahren berichteten einzelne Betroffene von ihrem Schicksal und zeigten damit einen Weg aus der Traumatisierung auf.